24. Februar 2022

Us dr Alzheimer-Chuchi

Traurig, aber heute schon gang und gäbe: Mutter (90) ist an Alzheimer erkrankt. Die Diagnose steht seit letzem Frühjahr, aber dass sich Demenz ihres Gedächtnisses bemächtigt, war schon eine Weile vorher klar. Ihr Naturel jedoch macht es für die Familie leichter zu tragen: immer schon war ihre Devise, man muss im Leben annehmen was nicht zu ändern ist. So bleibt sie meist gut gelaunt und macht gute Miene zum leidigen Spiel.

Überraschung
Im Dezember 2020 war es ihr wie jedes Jahr nicht auszureden, dass sie Geschenke für die Familie kaufen wolle. Alle Versuche mit Hinweisen z.B. dass wir alle schon erwachsen und reichlich alt sind, und sie doch nur für die jüngsten noch was besorgen könnte, tat sie ab mit der Erklärung: "Ohne Geschenke ist es einfach nicht Weihnacht."
Also ging ich einen Nachmittag mit ihr in die Stadt zum Einkauf. Wir hatten uns vorher eine Liste gemacht, was für wen geeignet wäre. Es sollte ja nichts grosses oder überteuertes sein, aber einen Plan sollte man doch haben. Den konnte sie sich allerdings nicht merken, und so machte sie sich während der Autofahrt laufend Gedanken, wem sie denn was schenken könnte. Schon damals musste ich ihr also andauernd von neuem erzählen, was wir für wen geplant hatten.
So gingen wir in ein Spielzeug-Geschäft, wo wir ein Holz-Xylophon für die Urenkelin erstanden, und in ein Kaufhaus mit vielen Abteilungen, wo es Sachen zum Anziehen und für feinen Geruch gibt. Schal für den Sohn, Handschuhe für die Schwiegertochter, ein Duftwässerchen für den Freund, Bücher für die Enkelinnen usw. Zwischen zwei Abteilungen machten wir eine Kaffeepause im hauseigenen Restaurant. Für die Bücher allerdings gingen wir in eine Buchhandlung die Strasse rauf. Erst als wir uns von dort auf den Rückweg zum Auto machten, bemerkte ich, dass Mutter irgendwo ihren Gehstock hatte stehen lassen. Und mir mit mehr Gewicht am Arm hing. Also setzte ich sie wo hin und rannte in alle Läden zurück. Der Stock blieb aber verschwunden und ist bis heute nicht mehr aufgetaucht.
Am Abend, zurück zuhause, waren wir beide recht müde. Also brachte ich sie in ihre Wohnung und wir vereinbarten, dass wir erst mal Pause machen und zuabend essen würden. Dann würden wir die Geschenke zusammen einpacken. Als ich dann wieder in ihre Wohnung kam, klebte sie gerade das letzte Geschenk zu... Kein Geschenk war mit einem Kärtchen versehen, für wen es sei. Und was sie da eingepackt hatte, das wusste sie beim besten Willen nicht mehr. Es war völlig weg. Da mehrere Geschenke ähnliche Grössen oder ähnliche Inhalte hatten, mussten wir sie wieder öffnen um festzustellen, für wen es gedacht war. Dann klebten wir sie wieder sorgfältig zu und beschrifteten sie. Plötlich prustete Mutter los und lachte:
"Weisch, wenn sie d'Gschänggli denn ufmache, no isch es au für mi e-n-Überraschig!"

Was kommt da auf uns zu?
Eine Besonderheit von solch ausgeprägter Demenz ist, dass die Menschen vergessen, dass sie vergessen. Man sollte sich immer diese Punkte vor Augen halten:
- Es ist eine Krankheit und sie wird nicht mehr heilen.
- Diese Menschen sind "nur" vergesslich - selbst wenn es im Sekundentakt ist. Sie sind deswegen nicht dumm geworden oder schwerhörig(er). Deshalb darf man nicht über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen fällen.
- Denken Sie immer daran: wenn die Person nach kürzester Zeit dasselbe fragt oder sagt, hat sie vollständig vergessen, dass das Thema grad beendet worden war. Sie fragt Sie also in einer Verfassung, also ob das Thema ganz neu sei. Wenn Sie die Person nicht verletzen wollen, lassen Sie sie gar nicht merken, dass Sie grade darüber gesprochen hatten, sondern antworten Sie völlig neu. Ein Tipp: werden Sie bei fortgeschrittener Demenz nicht ausführlich in Ihren Antworten. Die Person kann vielleicht nicht mehr ganz folgen - weil der Anfgang schon wieder vergessen geht. Und so können Sie bei jeder "neuen" Antwort einen anderen Aspekt anführen. Das macht es auch für Sie weniger anstrengend ;-)
- Überhaupt soll man sie so viel wie möglich in den Alltag einbeziehen, sie noch Verrichtungen selber machen lassen, mitdenken, mitplanen usw. Auch wenn Sie danach die Kontrolle behalten müssen und die Person nicht sich selber überlassen können. (Dabei geht es auch darum, die noch vorhandenen Fähigkeiten zu erhalten, so lange es geht.)
Immer wieder schön ist es auch festzustellen, dass nach einiger Zeit regelmässiger Wiederholung sich auch neue Gewohnheiten noch etablieren können. So geht Mutter drei Tage die Woche in eine Demenz-Tagesbetreuung, was für uns eine grosse Entlastung ist. Als wir damit begannen, war dies nur am Dienstag. Das hat sich fest eingeprägt. Am Dienstag ist das immer klar. Nicht lange danach kam der Donnerstag dazu, und später noch der Freitag. Diese zwei Tage sind allerdings jedesmal eine Überraschung für sie. "Morgen wirst Du abgeholt." "Ach ja? Ist morgen Dienstag?" "Nein, Donnerstag." "Ja bist Du sicher? Ich gehe doch immer am Dienstag." "Ja, aber auch am Donnerstag und Freitag." "Bist Du sicher?" (Spätestens jetzt muss ich immer lachen.)
Und am Donnerstag Abend, wenn ich ihr zwischen 21.30 und 22 Uhr das Demenz-Medikament reiche: "Morgen musst Du nochmal zur Zeit aufstehen, Du wirst wieder abgeholt." Da weiss sie dann immer, dass sie an diesem Tag schon dort war. Darauf meint sie regelmässig "Schon wieder? Wann bin ich denn eigentlich noch zuhause? Ich komme ja zu gar nichts. Ich muss doch mal sauber machen." Dass sie schon seit 5 Jahren Unterstützung kriegt im Haushalt, ist dann grad wieder vergessen. Allerdings fällt es ihr dann wieder ein, wenn wir direkt darüber sprechen.
Ein typisches Anzeichen des Fortschreitens der Demenz ist Inkontinenz. Das kann zwar im Alter so oder so kommen, aber im Fall von einer Demenzerkrankung scheint es nur die Frage nach "wann" zu geben, nicht nach "ob". War ich früher immer unter leichtem Schock angesichts der Haufen von Windeln, die eine Familie für ihr kleines Kind durchbringt, so bin ich heute nur noch dankbar für die Inkontinenz-Hilfen in Form von "Pants" (vielleicht ist "Inkontinenzhose" der richtige Ausdruck dafür, die Krankenkasse nennt es "Aufsaugende Hilfsmittel für Inkontinenz"). Der "Nutzungsgrad" schwankt von 'fast trocken' bis 'ordentlich schwer'. Eine für den Tag, eine für die Nacht. Bisher. Vielleicht braucht es später noch Wechsel zwischendurch.. Mutter benötigt die ihren seit etwa drei Monaten. Aufmerksam gemacht wurde ich von der Tagesbetreuung und damit vor das Problem gestellt, wie man mit sowas umgeht. Fast im gleichen Moment machte mich auch die Reinigungshilfe aufmerksam, dass A) der Schlafzimmer-Boden Tropfen zeige und B) Binden am Schränkchen mit der Unterwäsche klebten (ungebrauchte, zum Glück, es wurde dadurch nur klar, dass Mutter nicht mehr weiss was damit zu tun sei).
Also raste ich zum Coop, wie mir aufgetragen wurde, um dort "Pants" zu kaufen. So musste ich mir überlegen, wie ich Mutter dazu bringen würde, eine solche am nächsten Tag anzuziehen, wenn sie wieder in die Tagesstätte gehen würde. Es wurde dann auch eine fast hitzige Diskussion. "Du musst heute bitte dieses 'Höschen' anziehen." "Was? Das ist ja eine Windel! Wieso?" "Weil Du gestern in der Tagesstätte ein Malheur hattest, und man Dir eine solche gab und leihweise eine Trainerhose, weil Deine Sachen nass und verschmutzt waren." (Fällt Ihnen auf, wie ich mich da um umschreibende Formulierungen bemühte, um das braune Material nicht beim Namen zu nennen? Das ist so eine gesellschaftliche "déformation"..) "Woher weisst Du das?" "Weil die Betreuerin es mir erzählte." "Hat die das geträumt? Davon weiss ich nichts." "Ich glaube nicht, denn sie hat gestern Abend die beschmutzte Hose hier in die Badewanne gelegt, als sie Dich nachhause brachte, und grob ausgespült mit der Brause. Sie war aber immer noch verschmutzt und stank. Also war es sehr real. Ausserdem war es Dir dort unheimlich peinlich, und mit dieser Hose bist Du vor solchen Situationen geschützt." Das machte kurz nachdenklich, dann schickte sie sich drein und zog sie an. Widerwillig. Gleich murrte sie "das ist ja furchtbar, da bin ich ja eingepackt wie in einem Panzer, damit kann ich mich ja gar nicht richtig bewegen.." Worauf ich sie tröstete mit dem Hinweis "Nun, wenn es eine Zwangsjacke wäre, wäre das wirklich wie Du sagst, aber das hier scheint mir doch recht harmlos." Das brachte sie so zum Lachen, dass die Welt wieder in Ordnung war, und der Tag verlief dann zum Glück auch unfallfrei.
Auf die Nacht musste ich sie dann dazu bewegen, für ins Bett eine frische "Pant" anzuziehen. Da ging das ganze genau gleich von vorne los. "Warum, woher weisst Du das, hat die das geträumt?" usw. Irgendwie schaffte ich es, die Sache wieder ein wenig mit Humor zu entspannen. Aber dann fiel mir ein, dass wir vereinbart hatten, dass ich bezüglich Demenz und Alzheimer nie etwas verschweigen oder beschönigen würde, sondern immer sagen was Sache ist (wobei drauf herumreiten gar nicht geht, nur hin und wieder mal wieder ganz sachlich sagen, wie es ist und wie wir damit umgehen). Tatsächlich spreche ich auch mal von 'Vergesslichkeit', um Mutter nicht traurig zu machen indem ich sie erinnere, dass sie an Alhzeimer erkrankt ist. Schlimm genug, wenn es sich gelegentlich nicht umgehen lässt.
Also erklärte ich ihr ganz ohne Drumherumreden: "Weisst Du, Deine Erinnerung daran ist einfach weg. Aber Du weisst, dass ich Dich nie anlügen würde oder so etwas erfinden. Dass Du Dich auf mich verlassen kannst. Das mit der Erinnerung ist leider die Folge von Alzheimer, was Dir letzten Frühling diagnostiziert wurde. Und die Sache mit der Inkontinenz ist nichts schlimmes, da bist Du in guter Gesellschaft von einem ganz grossen Prozentsatz anderer alter Menschen. Dass das keiner an die grosse Glocke hängt ist klar, und deswegen weisst Du davon auch nichts. Aber ab jetzt musst Du einfach jeden Tag und jede Nacht eine frische Pant anziehen, die Dich vor Unannehmlichkeiten schützt, und gut ist damit." Man glaubt es kaum, aber das sank irgendwie tiefer ein, als das Meiste was sie tagsüber so hörte. Dann kam ich auf die Idee, ihr in einer hübschen Grusskarte zu schreiben, dass ihre Kontinenz nicht mehr so ganz gegeben ist, und sie BITTE deswegen diese Pants unter allem anderen tragem MUSS, damit ihr nichts Unangenehmes passiert. Nachts lege ich ihr eine frische Inkontinenzhose mit dieser Karte auf die Kleider - ja, sie steht immer noch alleine auf, zieht sich alleine an, macht allein ihre Morgentoilette inkl. Ganzkörperwäsche, frisieren, unauffällig schminken, für die Tagesstätte ein bisschen Parfüm - und auf diese Weise klappt das seit dann richtig gut.

Körperpflege vergessen, nicht 'nicht können'
Letzten Spätsommer stellte ich fest, dass sie das Haare waschen vergass. Wahrscheinlich fiel es mir erst nach drei Wochen auf, als die Haare strohig wurden. Unsauber wirkten sie trotzdem nicht. Also bat ich sie, die Haare zu waschen während ich dabei war, angeblich damit sie nicht in die Badewanne falle. Ja, in dieser Generation kommt es scheinbar öfter vor, dass man nie angefangen hat die Haare beim Duschen direkt unter der Dusche zu waschen. Duschen, bedenken Sie, gab es in den 1930er, 1940er Jahren kaum. Da wurde einmal die Woche gebadet, die anderen Tage sich gewaschen, das Haare waschen fand an der Badewanne z.B. mit einem Krug statt, mit dem einem Wasser über den Kopf gegossen wurde. Auch Mutter ist bei der Badewanne geblieben, hat aber doch dankbar den Krug mit der Duschbrause am Badewannen-Mischhahn ersetzt. Dabei ist sie bis heute geblieben und seit Jahren macht es mich nervös. Die Vorstellung, sie könne kopfüber in die Badewann fallen..
Gesagt, getan, und ich konnte mich überzeugen, dass sie das immer noch allein schaffte, es aber einfach vergass. Oder vielleicht dachte "das habe ich schon gemacht". Da zu meiner Entlastung - damit ich im Sommer nicht an meinem einzigen freien Tag auch noch nach Mutter sehen musste - einmal die Woche eine Person einer privaten Spitex kam, organisierte ich, dass sie alle zwei Wochen mit Mutter zu deren Coiffeurin fuhr, wo die Haare gewaschen wurden. Ich kam aber schnell dahinter, dass das etwas teuer ist. Coiffeurin, Spitexfrau plus Fahrtkosten.. So gingen wir dazu über, dass die Spitex das Haare waschen überwachte. Das gibt zwar immer eine Diskussion "Das kann ich doch allein, dafür brauche ich doch keine Spitex!" worauf ich antworte "Das stimmt, und du machst es auch selbst, aber die Dame guckt dass Du nicht in die Badewanne fällst und stellt höchstens sicher, dass kein Schaum im Haar bleibt." Dann geht auch das.. ;-)

Doch dann merkte ich, dass die wöchtenliche Dusche vergessen wurde. Das Wasser für die morgentliche Wäsche am Waschbecken hörte ich täglich rauschen - unser Haus ist alt und solche Geräusche übertragen sich in meine Wohnung. Also musste ich mir wieder was einfallen lassen. Beim ersten Mal ging ich direkt zu Mutter und sagte "ich glaube Du hast noch nicht geduscht, oder?" "Aber sicher habe ich geduscht, heute ist Sonntag, da dusche ich doch immer." So verunsichert ging ich ins Badzimmer, wo sowohl die Dusche als auch das Frottiertuch knochentrocken waren. Dieses Argument überzeugte wiederum Mutter, so dass sie sich nochmals auszog und sich duschte. Da ihr das sehr peinlich war, fand ich, dem müsste ich vorbeugen. Also schlich ich am folgenden Sonntag frühmorgens in ihre Zimmer, nahm die gebrauchte Wäsche weg und legte einen Satz frische Wäsche mit der frischen Pant und der Karte obendrauf ins Badzimmer. Zuoberst drauf legte ich noch einen zweiten Zettel mit einem Morgengruss und dem Hinweis, dass heute Sonntag sei und dass sie doch dann jeweils eine Dusche nehme. Nachdem sie aufgestanden war, hörte ich beim Frühstücks-Kaffee nach einer Weile das Wasser in der Dusche rauschen. Und war überglücklich, dass es funktionierte. Den Zettel bewahrte ich auf und benutze ihn seither jeden Sonntag Morgen. Übrigens bin ich auch sehr dankbar dafür, dass mit diesen kleinen Hilfsmitteln das alles noch so selbständig vonstatten geht. Und natürlich wechselt Mutter nicht nur am Sonntag die Wäsche, das geschieht mehrmals die Woche ohne Hilfe. Wieso ich das weiss? Das kam so:

Haushalten vergessen
Vor zwei Monaten stellte ich fest, dass der Wäschekorb nicht mehr leer wurde und nie mehr Wäsche aufgehängt wurde. Eine Weile der Beobachtung zeigte klar, dass Mutter vergass, die Wäsche zu waschen. Also ging ich dazu über, diesen Job zu übernehmen. So hole ich ihre Wäsche hoch in meine Wohnung und wasche sie zusammen mit unserer. So konnte ich auch feststellen, dass wöchentlich mehrere Sets Wäsche benutzt wurden.
Die gewaschene Wäsche stellte ich ihr in die Wohnung und sie bügelte und versorgte sie selbst. Leider nicht lange. Nach etwa 3 Wochen blieb der Korb mit ihrer gewaschenen Wäsche im Bügelzimmer stehen. Und Mutters Kater nutzte die Gelegenheit und schlief darauf. Da es grad ein so milder Winter ist, war die Wäsche entsprechend gespickt mit Katzenhaaren. Nur den hellen natürlich, die machen ja auch den besseren Kontrast. Also *seufz* bügle ich nun halt auch noch ihre Wäsche..

Ich hatte schon von Bekannten gehört, dass ihre dementen Eltern nicht mehr sehen, wenn es schmutzig ist. Das konnte ich mir schwer vorstellen. Doch tatsächlich geht langsam der Blick dafür verloren. Auf der Arbeitsfläche der Küche sind nun häufiger schmutzige Stellen. Krümel und Stückchen vom Essen die zu Boden fallen, werden nicht mehr wahr genommen und so der Boden auch nicht mehr gekehrt. Auch Schmutz von Draussen im Eingangsbereich wird nicht mehr gesehen. Dafür werden die Pflanzen mehrmals die Woche gegossen bis sie fast ersaufen. Und Kochen, ja das geht auch nicht mehr. Noch immer weiss Mutter genau, was alles dazu gehört. Nur nicht mehr in welcher Reihenfolge, damit das ganze auch zeitlich einigermassen hinhaut. Vor vier Monaten kochte sie das letzte Mal für sich und ihren Freund. Bis der Rauchmelder lospfiff. Da rannte ich die Treppe runter und fand die zarten Rindshuftsteaks in der Pfanne auf der höchsten Hitze, auf einer Seite verkohlt - daher der Rauch - und auf der anderen noch roh. Währenddessen, und völlig aus dem Häuschen weil A) der immer noch ungewohnte Rauchmelder so lärmte und B) sie nicht mehr wusste, was als nächstes zu tun wäre. So war sie noch am zerkleinern von Karotten, die sie als Gemüse kochen wollte, während sie schon die Steaks in die Pfanne gehauen hatte. (Für die Kochkenntis-Armen: Rindshuft ist nur kurz zu braten und kann gerne blutig oder medium gegessen werden.) Der Salat war noch nicht gerüstet und für die Salatsauce hatte sie schon mal von der Kräutermischung in die Schüssel geschmissen aber der Rest fehlte noch. Also alles Dinge, die zuerst hätten getan werden müssen, und erst zuletzt noch das Fleisch kurz braten. Nun, seitdem essen sie und am Wochenende ihr Freund bei uns oben. Und es gefällt und schmeckt ihnen sehr gut :-D .

Betreuen
All diese Betreuung war seit letztem Frühjahr insbesondere möglich, weil dank dem Corona Sars2 Covid19 Virus unser Geschäft zeitenweise gänzlich stillgelegt war. Jetzt sind in der Schweiz fast alle Einschränkungen aufgehoben worden und ich muss davon ausgehen, dass wir bald schon wieder Arbeit haben werden. Das stellt mich jetzt vor das Problem, wie es weiter gehen soll. Für einen Heimeintritt geht es Mutter eigentlich immer noch zu gut. Am schönsten wäre eine "live-in" Betreuung, dieses System bei dem meistens Frauen aus Ost-Europa bei der Person wohnen und zu ihr und dem Haushalt schauen. Darauf angesprochen meint aber Mutter, das könne sie sich gar nicht vorstellen, da ginge sie lieber ins Altersheim. Dort würde aber ihre noch vorhandene Selbständigkeit schnell flöten gehn und sie könnte sich wohl nicht mehr richtig orientieren. Stellen Sie sich vor, Sie wachen nachts auf, müssen dringend auf die Toilette und wissen nicht, wo diese ist. Die Orientierung, die auf sehr langen Gewohnheiten basiert, geht gänzlich verloren. Wenn die demente Person zuhause nach links musste für aufs Klo, wird sie das sein, die im Heim nachts links in eine Ecke macht.. Das möchte ich Mutter ersparen, wenn es geht. Diese totale Veränderung führt oft sehr schnell zum Zerfall des letzten Rests an Selbstsicherheit, Selbständigkeit und Orientierung. Ein Dilemma also. Das Beste - die live-in Betreuung - ist das, was sie sich nicht vorstellen kann. Es wäre natürlich auch schwierig, zumindest eine Zeit lang,morgens jedesmal zu erschrecken wenn eine fremde Person in der Wohnung ist. Aber vielleicht würde auch hier die Gewöhnung noch klappen. Sollen wir es doch versuchen?

"Vorausgegangene"
Heute ging es zum xten Mal um eine Bekannte, die kürlich verstarb und für die in einer Woche eine Abschiedsfeier stattfindet. Ich finde es schön, wenn eine solche noch durchgeführt wird, damit sich auch Bekannte noch im Herzen von der Person verabschieden können, ein wenig um sie weinen dürfen und damit ihre persönliche Trauerarbeit begehen können. Die 'neue Mode' von "Die Abdankung / Beisetzung findet im engsten Kreis der Familie statt" erscheint mir unbedacht gegenüber allen anderen Menschen, die die Person vielleicht sogar gut kannten. Daher finde ich es richtig, dass Mutter da hingehen will, obwohl sie just an dem Tag in der Tagesstätte wäre. Aber es wird kompliziert, da ich ausgerechnet dann arbeiten muss. Vielleicht Sollte sie bis nach dem Mittagessen in die Tagesstätte gehen. Und eine Freundin kann sie abholen und an die Trauerfeier begleiten. Es sind solche Momente, die mir immer wieder bewusst machen, dass ich eine geregelte Lösung finden muss. In drei Monaten beginnt die Sommersaison für mein Geschäft und ich werde kaum mehr Zeit haben für Mutter.
Als ich ihr erklärte, dass sie doch in die Tagesstätte gehen müsse und ich schauen wolle, ob die Freundin sie dort abholt, meinte sie "ich kann doch zuhause bleiben". "Aber ich bin nicht hier und kann nicht kochen für Dich." (Auch das Aufwärmen von Sachen traue ich ihr nicht mehr so ganz zu.) "Ich kann mir doch selbst etwas kochen." "Nein, es tut mir leid das sagen zu müssen, aber das kannst Du leider nicht mehr." Da sie mir das nicht glauben wollte, erzählte ich ihr die Kochgeschichte mit den Rindshuftsteaks und dem Rauchmelder. "Ach was, das meinst Du nur. Was man ein Leben lang gemacht hat, velernt man nicht." Worauf ich erkläre, dass ich das verstehe, dass sie das denkt, weil sie sich an alte Küchenbilder erinnert, und an dieses Ereignis überhaupt keine Erinnerung mehr hat. So komme sie auf die Idee, das sei nicht wahr. Dazu meinte sie grinsend, als sie sich grad die Nase etwas putzen musste:
"S'isch wie mit em Nastuech: wenn's vollgschnützt isch, isch au nüd me z'wellä."

So bringt sie mich immmer wieder zum Lachen. Mit solchen "Weisheiten", die manchmal zwar nicht wirklich zutreffen, aber dennoch zu passen scheinen. Und wenn ich mal wieder mit dem Schicksal hadere, das Mutter hin und wieder wirklich harte Zeiten im Leben verpasst hatte, die sie immer mit Kraft und mit Bravour überstand, und das ihr nun nicht einmal einen gesunden Lebensabend vergönnt, muss ich gelegentlich an 'Hampe' denken, mit dem wir vor ein paar Jahren hin und wieder Kaffee tranken und der als Kind auch Schlimmes durchlebt hatte. Und wie er lapidar sagte:
"Wenn's nid isch wie de willsch, muesch es wellä wie's isch." Auch er hat offensichtlich eine Lebensphilosophie des 'Hinnehmens und das Beste draus machen' entwickelt.

Und wie ist es für die Betroffen?
Letzten Spätherbst fragte mich Mutter über ihre Generation im Dorf und in der Verwandtschaft. Wir stellten beim Aufzählen fest, dass nicht mehr viele davon hier sind. Das brachte sie auf unsere eigene Familie, in der wir einige traurige Verluste schon vor vielen Jahren erleiden mussten. Sie fragte nach meinem Bruder, der sich vor über 40 Jahren das Leben nahm. Was denn mit ihm gewesen sei. Ihr das erzählen zu müssen, brachte mich selbst fast zum weinen. Nicht wegen seinem Tod und der traurigen damit verbundenen Geschichte, sondern weil sie sich überhaupt nicht daran erinnern konnte und ich ihr somit den Schmerz dieses Erlebnisses nochmals verursachen musste. Als sie bemerkte, wie ich mit den Tränen um meine Stimme kämpfte, fasste sie meine Hand um mich zu trösten. Da erklärte ich ihr, weswegen mich das so traurig mache. Darauf meinte sie, sachlich und doch ein wenig verschmitzt:
"Weisch, s'guete an so-n-ere Demänz isch, dass die betroffeni Person nüd spürt drvo und's sälber wieder vergisst."

Es scheint aber auch für sie selbst manchmal anstrengend zu sein. Wenn sie versucht, sich an etwas zu erinnern, Sachverhalte einzuordnen, etwas nicht zu vergessen. Leider vergisst sie auch, Dinge gleich aufzuschreiben. Und wenn ich etwas für sie aufschreibe, vergisst sie den Zettel zu lesen.
Besonders stark macht sich das bemerkbar, wenn sie versucht zu entschlüsseln, wer in unserer eigenen direkten Familie in welchem Verhältnis zu wem steht. Sohn, dessen zwei Töchter (Enkelinnen), der einen Tochter Lebenspartner und ihre kleine Tochter (Urenkelin). Der Name der Urenkelin ist ihr zwar immer präsent und sie betet sie an, genau wie sie ihre beiden Enkelinnen immer heiss geliebt hat. Aber zu wem sie genau gehört, ist manchmal - zum Glück noch vorübergehend - einfach weg.

Betroffene sind natürlich auch die Angehörigen. Die zusätzlichen Aufgaben, die man für die Eltern übernehmen muss, ergänzt mit dem Durcheinander, die sie manchmal verursachen können, das kann schon anstrengend sein. Ich dachte am Anfang "Nun, das ist wie wenn man Kinder hat. Es ist als ob ich ihr etwas davon zurück gebe, was sie für mich bedeutete als Kind." Bald wurde mir aber der grosse Unterschied bewusst: während Kinder nach und nach dazu lernen und im Lauf der Zeit etwas selbständiger werden, ist es bei einem dementen Elternteil genau umgekehrt. Immer mehr Erinnerungen, Erfahrung und zuletzt auch Wissen geht verloren, immer weniger Verwantwortung kann selbst getragen werden, und der Zeitaufwand wird immer erheblicher. Deswegen ist es wichtig, dass man sich bald schon Hilfe ins Boot holt. Zu denken, man schulde das den Eltern, ist nur zum Teil richtig. Natürlich schulden Sie ihnen Liebe, Respekt, Ehre. Aber nicht dass Sie sich aufgrund der Situation überarbeiten, bis Ihr eigenes Leben aus den Fugen gerät. Wenn Sie sich für Ihre Mutter, Ihren Vater zu weit aus dem Fenster lehnen, kann sich das auf Ihre eigene Beziehung, Ihre Familie negativ auswirken. Also passen Sie auf sich selbst auch gut auf.

Für heute beende ich diesen Post mit einer Situation beim heutigen Mittagessen:
Wieder ging es um die kürzlich verstorbene Bekannte, die viele Jahre mit Mutter zusammen gearbeitet hatte. Ich fragte, ob sie sie denn oft besucht hätte. Da meinte Mutter "Wir hatten nicht viele Gemeinsamkeiten. Nein, wir haben uns die letzten Jahre wenig gesehen." "Weshalb möchtest Du denn an die Beerdigung gehen?" "Na, wenn man so lange zusammen gearbeitet hat! Da ist doch das das Mindeste. Wie alt ist sie eigentlich geworden?" Schaut auf die Todesanzeige. "Wie? Sie hatte ja grade noch den 89. Geburtstag. Das ist ja .... Wie alt bin ich eigentlich? Was, 90?! Das kann ja gar nicht sein! Bist Du sicher?"

Chiang Mai Weisheiten

Diese Weisheiten fand ich 2008 in einem witzigen Laden in der Innerstadt von Chiang Mai.
Der Ladenbesitzer ist Kunstmaler und hat die Weisheiten auf kleinere und grössere Stofffetzen gepinselt.